©Joerg Schaffelhofer, Lyrik und Prosa

Kategorie: Kurzprosa (Seite 1 von 2)

Glück

Kippe den Kurzen runter, das Bier geht nicht mehr. Da vorn an der Theke irgendwo der Wirt im Nebel, spült er schon die letzten Gläser? Ein Schluck Bier geht dann doch noch…

… klingelt was, das Handy am Tisch nebenan. Von dem, der schon vor ´ner Stunde auf Toilette ist. Und das klingelt und klingelt…
Der Wirt ruft was, das Bier geht nicht mehr, verdammt…

… und das Handy klingelt. Ich greif‘ rüber, mein Stuhl wackelt, bin ich gewohnt und fange mich. Tippe auf Grün, nicht nur einmal, doch dann…

Wo bleibst du versoffenes Schwein? Deine Tochter schreit nach dir, hörst du?
Ich höre.
Geh zum Teufel, verdammt!

…lege das Handy zurück, da kommt der Andere gerade, bleich wie der Tod, weiß von nichts.

Bier geht nicht mehr, der Wirt schließt schon ab, bringt mir den letzten Kurzen.

Ich schaue rüber zu dem Anderen. Frau und Kind, hat der ein Glück!

Die Stadt

Am Morgen in der Stadt. Tische und Stühle stehen beschirmt in der Sonne. Wie früher. So waren unsere Sommer.

Leute sitzen bei Kaffee, meist ältere Herren, schauen verträumt jungen Damen hinterher. Als Junge bin ich täglich hier vorbeigelaufen und wenn es warm wurde, dann saßen dort die Opas. Irgendwie ist alles immer noch so wie früher.

Wäre ich damals in der Stadt geblieben, ich würde wohl heute auch hier sitzen. Stattdessen passiere ich stumm das Café Marie. Schaue in manches Gesicht, das mich an etwas erinnert. Aber mir fehlen die Bilder dazu. Die habe ich im Lauf der vielen Jahre verloren.

Und ich gehe weiter, vorbei an diesen Tischen in der Sonne. Als Fremder. Ein wenig tut es weh.

Entsorgung

Was bleibt denn?

Ein Schlüssel auf der Kommode im Flur. Reichlich Platz an der Garderobe, viel Stille.
Aus dem Küchenschrank kommt immer noch der Duft exotischer Gewürze. Auf dem Wohnzimmertisch liegt der dicke Wälzer, den du gelesen und von dem du mir oft bis zum Morgengrauen erzählt hast. Vermutlich bist du fertig damit, denn das bunte Lesezeichen steckt nicht mehr.
Deine Toilettenartikel hast du sämtlich entsorgt.
Eigentlich bleibt nur dieses eine Foto, das neben dem Fernseher steht. Wir lachen in die Kamera War das mal und wo? Vielleicht auf Kreta.

Ich kann das alles nicht glauben. Morgen werde ich endlich deinen Wälzer und das Foto entfernen.

Dann bleibt nichts mehr. Vielleicht ab und zu ein langes, dunkles Haar von dir. In irgendeiner Ecke

Bekanntschaft

Daisy kenne ich seit Jahren, übrigens auch ihren richtigen Namen.
Wir sind uns damals kurz vor Mitternacht am Tresen von Charlie´s Bar begegnet. Sie nippte an ihrem Mojito, ich setzte mich neben sie und bestellte einen Negroni. Wenig später orderten wir beide noch einmal das Gleiche, dann hat sie mir erzählt, dass sie anschaffen geht. Es also beruflich täglich mit mehreren Männern treibt, wie sie es ausdrückte.
Mich hat das nicht abgeschreckt. Im Gegenteil, wir haben gemeinsam in jener Nacht noch etliche Bars aufgesucht, was wir auch heute noch gerne tun.
Oder wir treffen uns zum Frühstück in diesem kleinen Café hier gleich um die Ecke. Abends, wenn sie nicht arbeiten muss, gehe ich gern zu ihr oder sie kommt zu uns.
Hätte ich damals in Charlie´s Bar gar nicht gedacht, meinte sie letztens, dass du so cool bist als Mutter von zwei Töchtern!

Heimkehr

Als ich nach 50 Jahren heimkomme, ist nichts mehr Heimat. Ein paar Gebäude erinnern mich, die Menschen nicht.

Doch dann finde ich unsere alte Kneipe. Stratos heißt sie jetzt, nicht mehr Nepomuk. Dasselbe Gebäude, in die Jahre gekommen, genauso der Eingang. Ich gehe rein, hier ist nur noch Stratos. Es gibt Bier, aber viel zu viele Sorten. Zu Stratos-Musik. Also bestelle ich Cola Rum und ignoriere den verwunderten Blick des Wirts.
Doch dann irgendwann unsere Musik. Klammerblues. Und da kommt eine und meint, dass sie mich kennt. Ich trinke Cola Rum und Cola Rum. Und die, die mich kennt, tanzt und tanzt und tanzt. Ohne mich, aber sie schaut immer wieder rüber zu mir und sie lächelt. Wie damals.

Am nächsten Vormittag, bevor mein Zug fährt, schaue ich noch einmal auf dem Friedhof vorbei. Und finde mein Grab.
Ich bin erleichtert.

Begegnung

Ich auf der alten Steinbrücke. Schaue hinunter, gerade noch hat sich der Mond im Fluss gespiegelt, jetzt schiebt sich eine Wolke davor.
Hinter mir Schritte, die näherkommen. Dann stillstehen.
Zigarette?
Ich greife zu, obwohl ich nicht mehr rauche. Die Flamme eines Zippo, das Inhalieren, das Ausatmen. Brennen in der Lunge, der leichte Schwindel.
Sturmfeuerzeug!
Ich ziehe noch mal, voller Erwartung, aber der Körper gewöhnt sich schnell. Gleich gibt die Wolke den Mond wieder frei. Schauen aufs Wasser. Hinter uns Mitternachtsglockenschlag der Josefskirche.
Neuer Tag.
Gesagt. Klettert aufs Geländer, mit halbvoller Zigarettenpackung und Sturmfeuerzeug. Springt.

Die letzten Zigarettenzüge enttäuschen. Kein Grund, wieder mit dem Rauchen anzufangen.

Ich schnippe die Kippe in den Fluss.

Hubert

Damals gab es noch diese Bahnhofrestaurants. Eingerichtet waren sie schlicht und zweckgemäß. Nicht selten roch es mehr nach Klosettstein als nach Rouladen und Schnitzel. Niemand hielt sich länger dort auf als nötig und jeder Gast fieberte der Abfahrt seines Zuges entgegen.

Hubert saß jeden Tag in einem solchen Etablissement, beobachtete die Leute und träumte davon, selbst einmal mit einem dieser vielen Koffer unterwegs zu sein, hinaus aus der Stadt und hinein in die Welt. Er gehörte beinahe zur Einrichtung, saß stets an demselben Tisch. Jeder machte einen Bogen um ihn, auch die Kellner, denn eine Bestellung war von ihm nicht zu erwarten. Und wenn mal alle Tische besetzt waren, was hier allerdings so gut wie nie vorkam, verließen die Gäste lieber die Lokalität als sich mit einem Solchen an einen Tisch zu setzen.
Doch niemand vom Personal wagte, ihn an die frische Luft zu setzen. Die Angestellten kamen und gingen, aber Hubert hatte hier schon immer gesessen.

Die Zeiten ändern sich. Das Bahnhofsrestaurant ist längst einem McDonald’s gewichen.
Den hat Hubert nicht mehr erlebt. Zu seinem Glück, denn dort hätten sie nicht so viel Geduld mit ihm gehabt.

Die gute Seele

Heinz stand immer neben mir an der Theke und erzählte von Erika. Niemand konnte mit dem Namen etwas anfangen, keiner glaubte seine Geschichten. Der Suff hatte ihn im Griff und so verstand man außer Erika sowieso meist nur wenige seiner Worte. Niemand brachte es übers Herz, ihn allein stehen zu lassen, diese gute Seele des Hauses. Mal sprach er liebevoll von Erika, dann wieder schimpfte er laut oder tauchte gar ab in untröstliches Schluchzen. So war er, unser Heinz.

Vor ein paar Wochen ist er gestorben. Wir haben für ihn gesammelt und konnten uns so mit einem kleinen Kranz auf seiner kargen Grabstätte von ihm verabschieden.

Heute erzählt jemand an der Theke, dass auf dem Grab ein kleiner Gedenkstein liegt mit der Aufschrift Erika und Heinz. Alle lachen. Sollen sie doch.

Schwarz-weiße Katze

Seit Beginn meines Hausarrestes hat sich viel verändert. Der Blick hinaus ist mir nicht verboten, nur das Klopfen, Winken und Öffnen des Fensters habe ich zu unterlassen. So erlebe ich jeden Tag mit, was draußen vor sich geht.

Und es gibt viel zu sehen. Zum Glück, was wären es sonst für elend lange Tage hier in diesem Zimmer. Ja, von meiner ehemaligen Wohnung ist mir das Wohnzimmer als einziger Aufenthaltsort zugewiesen worden, den ich nur verlassen darf, um die Toilette aufzusuchen. Der Flur dorthin ist gänzlich unbeleuchtet und so ist es hilfreich, dass ich den Weg zum WC aus Erfahrung blind finde.
Seit dem Arrest habe ich hier keinen Menschen getroffen. Nicht einmal die guten Seelen kenne ich, die dreimal täglich das Essen vor die Tür stellen. Sie klopfen und ich hole mir mein Tablett herein. Zu sehen ist niemand.
Das Essen schmeckt, da kann ich mich nicht beklagen. Auch sonst fehlt es mir an nichts. Ich höre Musik von einer hochwertigen Stereoanlage, auf dem Flatscreen kann ich jeden gewünschten Spielfilm der letzten dreißig Jahre abrufen. Selbst das Bett ist ausgesprochen bequem. Kein Wunder, hatte ich mich doch erst kurz vor dem Arrest völlig neu eingerichtet. Die gesamte Einrichtung durfte ich übernehmen, soweit sie in das eine Zimmer passte.

Die ersten Tage waren nicht leicht. In einen Arrest muss man sich zunächst einmal einleben. Ich lief stundenlang im Zimmer auf und ab, nahm auf dem Sofa Platz, um wieder hin und her zu laufen und am Ende in den Fernsehsessel zu fallen.
Und ich erinnere mich, auf jedes Geräusch hinter der Zimmertür geachtet zu haben. Zu Anfang hörte ich regelmäßig Schritte, manchmal auch Flüstern, das jedoch zu leise war, um etwas verstehen zu können. Und ich wartete darauf, dass einmal die Tür aufging und jemand hereinkam und mitteilte, dass der Arrest beendet wäre und ich das Zimmer ab sofort wieder verlassen dürfe. Aber Schritte und Flüstern wurden seltener. So verging die Zeit.

Aus Verzweiflung stellte ich mir irgendwann einen Stuhl ans Fenster und begann damit, hinauszuschauen. Erst tagsüber, dann Tag und Nacht und schließlich auch zu jeder Jahreszeit, denn solange dauert mein Arrest mittlerweile.
Und beim Blick auf die Straße, der mir nach und nach die öde gewordenen Filme ersetzte, offenbarte sich mir das übliche Treiben, das ich seit jeher von hier oben aus kannte. Doch waren die Bilder jetzt intensiver und ich beobachtete Dinge, die mich früher nicht interessiert hätten.

So wartete ich zum Beispiel jeden Abend auf die schwarz-weiße Katze. Sobald es dunkel war, erschien sie aus dem Nichts und schlich gemächlich im matten Licht der Straßenlaternen über den Bürgersteig. Näherte sich eine Person, vielleicht sogar ein Hundehalter, sprang sie elegant ins Buschwerk und verschwand. Ich stellte mir vor, wie sie dort abwartend kauerte. Zuweilen dauerte es über zehn Minuten, bis sie wieder aus den Büschen auftauchte. Je häufiger ich das beobachtete, desto mehr fieberte ich ihrem Wiedereintritt in mein Bild entgegen. Und da war so etwas wie Angst, dass sie irgendwann für immer verschwinden könnte.

Während die nächtlichen Stunden eher etwas Meditatives für mich hatten, sprudelte der Tag über vor Aktivität. Die Hauptstraße durch die kleine Stadt führte ihren rege fließenden Autoverkehr vor unserem Haus vorbei. Dieser wurde, von meinem Fenster aus gesehen, keine fünfzig Meter weiter nach rechts regelmäßig von einer Fußgängerampel ausgebremst. Vor allem vormittags standen immer junge Mütter mit Kinderwagen an der Ampel, um die Straße zu überqueren. Ihr Ziel war der Stadtpark, dessen Eingang ich direkt gegenüber auf der gegenüberliegenden Straßenseite im Blick hatte. Den Park umschloss eine uralte mannshohe Mauer aus einer anderen Zeit, und ein schweres Eisentor, das nachts geschlossen wurde, diente als Parkeingang.
Und während Kinderwagen in angemessen gemächlichem Tempo in den Park hinein- und wieder hinausgeschoben wurden, eilten Menschen mit Aktentaschen mitten durch diese Ruhe. Selbst von hier oben aus sah ich diesen Getriebenen ein Leiden an, das sie eines Tages aus ihrer eingefahrenen Bahn werfen würde.
Autos gaben beim Wechsel der Ampel auf Rot noch einmal Gas oder bremsten widerwillig, um dann bereits bei Gelb der verlorenen Zeit hinterherzufahren.
Ab und zu führte eine ältere Dame ihr kleines Hündchen an der Leine aus, in dem ihrem Alter gemäßen Tempo. Welch ein Spaß, wie die Eiligen über sie fluchten! Und dann setzte ihr Vierbeiner auch noch ein Häufchen mitten auf den Weg.

Das Leben lief dort unten auf der Straße weiter, während ich hier oben im Arrest ausharrte. Keiner wusste von meiner Situation, und sie hätte gewiss auch niemanden interessiert.
So vergingen Tage und Wochen. Es wurde nie langweilig. Mal gab es einen Streit, dann einen Unfall oder etwas Anderes zu beobachten. Unterbrochen wurde mein Schauspiel nur durch das Klopfen an der Tür und das anschließende Mahl.
Aber am Ende bleibt doch nichts so, wie es ist.

Eines Tages fiel mir auf, dass keine Autos mehr fuhren. Die Fußgängerampel funktionierte weiterhin, die Kinderwagenmütter warteten wie gewohnt brav auf die grüne Geherlaubnis, bis das Signal für die Fahrzeuge auf Dauerrot und für die Fußgänger auf Dauergrün geschaltet wurde. Ein paar Wochen lang, vielleicht auch nur Tage, dann wurde die Ampel komplett abgeschaltet.

Es wurde still auf der Straße, ich beobachtete immer weniger Passanten. Mittlerweile war der Spätherbst angebrochen, kein Wetter mehr für lange Parkspaziergänge.

Dann, am heutigen Morgen, kurz vor Weihnachten, schaute ich aus dem Fenster und stellte fest, dass das Tor zum Park verschlossen ist. Keine Menschenseele lief auf der Straße. Und mir wurde erst jetzt bewusst, dass ich die alte Dame mit ihrem Hündchen auch schon länger nicht mehr gesehen hatte.
Niemand klopfte an die Tür, keiner brachte mir mein Essen.

Als es dunkel wurde und ich hinausschaute, brannte nur eine Straßenlaterne, die vor unserem Haus. Und in ihrem Schein sah ich die schwarz-weiße Katze mitten auf der Straße laufen. Ganz langsam schlich sie voran und immer wieder schaute sie sich um, fühlte sich augenscheinlich unwohl. Niemand war da, vor der sie ins Gebüsch springen musste.

Ich habe Hunger. Öffne die Zimmertür, doch da steht immer noch kein Tablett. Verlasse das Zimmer, gehe durch meine dunkle Wohnung, zur Wohnungstür. Drücke die Klinke: nicht abgeschlossen! Schritt für Schritt, vorsichtig nach so langer Zeit, steige ich die Stufen im Treppenhaus hinab. Höre nichts als meine Schritte und das bekannte Knarren der alten Holztreppe. Dann gehe ich durch den ebenfalls unverschlossenen Hauseingang auf die Straße. Bleibe stehen. Schaue mich um. Ganz allein. Die letzte Straßenlaterne erlischt.
Mache einen Schritt, noch einen.

Gehe los, hinein ins Dunkel. Und spüre die ersten Schneeflocken auf meinem Gesicht.

Augenblicke im Café

Sie schaut herüber zu mir und lächelt. Streicht ihr schulterlanges Haar zurück. Ich weiß, dass ich mir nur etwas einbilde. Wahrscheinlich steht jemand hinter mir, auf den sich ihr Blick richtet. Hat jeder schon mal erlebt, diesen peinlichen Moment der Verwechslung. Doch ich schaue mich nicht um, will gar nicht wissen, wer es ist.
Ich kenne sie nicht, habe sie hier noch nie gesehen. Kann aber meinen Blick nicht von ihr lassen, denn da ist was.

Dann kommt, was ich erwartet habe. Sie steht auf, geht auf mich zu. Ich schaue weg, weiß, dass sie an mir vorbeigehen wird, um den Typen hinter mir zu begrüßen, vielleicht zu umarmen oder zu küssen. Steht er denn immer noch da?

„Stefan?“, fragt sie und bleibt an meinem Tisch stehen.
„Hanna?“ Nach vierzig Jahren.

Später, weit nach Mitternacht in der uralten Kneipe, gestehe ich ihr, wie verliebt ich damals war, wie viele Nächte ich nicht schlafen konnte, weil sie nie Notiz von mir genommen, nie mit mir gesprochen hat.
„Du hattest nur Augen für die anderen!“, lalle ich, als wir die Bar verlassen und sie sich bei mir unterhakt. Sie lacht. Und ihr Lachen hallt durch die dunkle Gasse.
„Hätte ich dich dann heute Abend wiedererkannt?“

Sie verspricht mir einen doppelten Espresso, bei ihr zuhause. Das hört sich gut an, immerhin gibt es noch so viel zu reden.

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