©Joerg Schaffelhofer, Lyrik und Prosa

Monat: März 2024

das alte haus

da steht es
das alte haus
sein garten und
sogar die sandkiste

alles viel kleiner heute

nur die junge birke
ist eine riesin geworden

es gibt sich mühe
wie es dasteht
das haus nummer 14

wir sind uns fremd geworden
nach all den jahren

doch ich erkenne mich
noch immer dort im fenster

Ich

Ich weiß, es hört sich verrückt an, wenn ich Ihnen erzähle, dass ich gestern mir selbst begegnet bin. Sie werden zunächst mit einem Wie bitte? reagieren, denn Sie sind sich sicher, dass Sie mich falsch verstanden haben.
Das kann ich verstehen, und doch werde ich wiederholen, dass ich mir gestern begegnet bin. Sie werden dann einen Augenblick still sein. Ich stelle mir Ihren Blick vor und lese daraus Ihre Gedanken. Verrückt? Der falsche Ausdruck, irre trifft es besser, denken Sie. Und ja, Sie haben Recht.
Und doch, ob Sie es glauben oder nicht, genauso war es. Ich bin momentan zur Kur in diesem kleinen Ort. Der Grund tut nichts zur Sache. Vor einer Woche bin ich hier angekommen, habe seitdem vormittags und nachmittags Therapiestunden, Anwendungen und sonstige Maßnahmen über mich ergehen lassen. Sogar das Heilwasser trinke ich.
Aber die Abende nach dem festgelegten Programm gehören mir. Und so habe ich seitdem abendlich eine andere Lokalität besucht und die gutbürgerliche lokale Gastronomie genossen, sowohl was das Essen anbelangt als auch die süffigen weißen und ganz besonders die roten Weine aus der Gegend.
Gestern hatte ich mir das Lokal „Zur Alten Wutz“ ausgesucht. An sich unterscheiden sich die örtlichen Lokale wenig voneinander. Überall ist es duster, von Nikotin vernebelt und der Geruch von Bier und Wein wabert durch den gesamten Gastraum. Ich fand einen kleinen Tisch für zwei Personen und glaubte, sicher zu sein, allein zu bleiben.
Wie jeden Abend bestellte ich mir ein erstes Viertel vom roten Hauswein. Dazu diesmal von der Karte den Wildschweinbraten, verleitet vom Namen des Lokals.
„Aber bitte nicht von der alten Wutz!“, scherzte ich mit dem Kellner, der sich sichtlich angestrengt um ein Lächeln bemühte. Das wäre nicht nötig gewesen, denn dass ich nicht der geborene Witzbold bin, weiß ich selbst. Und das wurde mir unverzüglich bestätigt, nachdem der Kellner fort war.
„So alt, dieser Kalauer!“, sagte die Person, die aus heiterem Himmel plötzlich mir gegenüber saß. Ja, aus heiterem Himmel, auch wenn es schwer zu glauben ist. Und so kann ich Ihnen auch Ihre Frage nicht beantworten, woher diese Person denn so plötzlich gekommen ist.
„Was glaubst du, wie oft der arme Tropf (er bzw. ich, aber das verstehen Sie erst ein paar weiteren Zeilen später, meinte damit den Kellner!) das schon gehört hat?“
Du? Sagte er DU? Aber sicher, und was hätte ich dagegen sagen sollen? Er, der mir da gegenüber saß, das war ICH! Ja, ich weiß, verrückt und irre, ich hatte das ja zu Beginn dieses Textes eingeräumt.
Sie lesen diese Zeilen, denken sich Ihren Teil. Doch glauben Sie mir, ich saß mir leibhaftig gegenüber. Dieser Person, die ICH war.
Und ICH hatte ja Recht. Mein Kalauer war keine Glanzleistung und ich dachte darüber nach, mich beim Kellner zu entschuldigen.
„Mach dir keinen Kopf,“, meinte ich zu mir, der meine Zweifel mitgelesen hatte, „der Mann ist Schlimmeres gewohnt.“
Ganz bestimmt. Wir verstanden uns von Beginn an.
Wenig später wurde mir dieser wunderbar zarte und leckere Wildschweinbraten serviert. Statt eines weiteren Viertels bestellte ich eine Flasche des herrlichen Rotweins und ein zusätzliches Glas für mich. Der Kellner ließ sich nichts anmerken, doch ich und vermutlich auch ICH spürten, dass er nicht recht verstand. Ich bot meinem Gegenüber an, ihm etwas zu essen zu bestellen, aber er hatte keinen Hunger. Also genoss ich den Wutzbraten allein. Dem Rotwein war ICH jedoch nicht abgeneigt, so dass ich am Ende mein Viertel und zwei Flaschen Wein auf der Rechnung hatte.
Als wir die Lokalität verließen, bedankte ĬCH mich artig für die Einladung. Ich verstand nicht recht, denn eingeladen hatte ich mich nicht, aber am Ende sah ich einfach darüber hinweg. So, und weil ich generell nicht alles auf die Goldwaage lege, trennten wir uns friedlich.
Am nächsten Vormittag fragte mich mein behandelnder Arzt nach meinem Befinden und den Erlebnissen seit unserer letzten Therapiestunde. Von Beginn der Kur an hatte ich ihn immer enttäuschen müssen, weil ich nichts erlebt hatte. Jetzt erzählte ich ihm erleichtert vom Zusammentreffen mit mir in der Alten Wutz. Der Arzt nickte freundlich und schlug vor, dass ich MICH zu einer der nächsten Therapiestunden mitbringen solle.
Ich hoffe jetzt, mich demnächst wieder zu treffen. Aber ich möchte auch Sie bitten, und das ist der eigentliche Grund für all die Zeilen: Falls Sie mir begegnen, dann richten Sie mir doch bitte aus, dass ich mich dringend brauche.

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