©Joerg Schaffelhofer, Lyrik und Prosa

Kategorie: Kurzprosa (Seite 2 von 2)

Augenblicke im Café

Sie schaut herüber zu mir und lächelt. Streicht ihr schulterlanges Haar zurück. Ich weiß, dass ich mir nur etwas einbilde. Wahrscheinlich steht jemand hinter mir, auf den sich ihr Blick richtet. Hat jeder schon mal erlebt, diesen peinlichen Moment der Verwechslung. Doch ich schaue mich nicht um, will gar nicht wissen, wer es ist.
Ich kenne sie nicht, habe sie hier noch nie gesehen. Kann aber meinen Blick nicht von ihr lassen, denn da ist was.

Dann kommt, was ich erwartet habe. Sie steht auf, geht auf mich zu. Ich schaue weg, weiß, dass sie an mir vorbeigehen wird, um den Typen hinter mir zu begrüßen, vielleicht zu umarmen oder zu küssen. Steht er denn immer noch da?

„Stefan?“, fragt sie und bleibt an meinem Tisch stehen.
„Hanna?“ Nach vierzig Jahren.

Später, weit nach Mitternacht in der uralten Kneipe, gestehe ich ihr, wie verliebt ich damals war, wie viele Nächte ich nicht schlafen konnte, weil sie nie Notiz von mir genommen, nie mit mir gesprochen hat.
„Du hattest nur Augen für die anderen!“, lalle ich, als wir die Bar verlassen und sie sich bei mir unterhakt. Sie lacht. Und ihr Lachen hallt durch die dunkle Gasse.
„Hätte ich dich dann heute Abend wiedererkannt?“

Sie verspricht mir einen doppelten Espresso, bei ihr zuhause. Das hört sich gut an, immerhin gibt es noch so viel zu reden.

1965

Weihnachten 1965. Als endlich das Glöckchen klingelt und er ins Wohnzimmer darf, steht da diese Fallerbahn: mit Brücken und Bächen und die Kreuzung in der Mitte mit einer richtigen Ampel, die regelmäßig von Rot auf Grün wechselt. Und zwei Autos, ein dunkelgrüner VW-Käfer und ein weißer Krankenwagen-Bulli drehen ihre Runden.
Vater zeigt ihm, wie man mit der Fernbedienung die Autos steuert, sie an der Ampel stoppt und bei Grün wieder anfahren lässt. Und dann, es ist ja schon dunkel, sagt er lächelnd: „Und jetzt pass mal gut auf!“ Drückt einen Schalter neben der Bahn und in all den Häusern um die Fallerstraße herum geht das Licht an. Leben in der Stadt!

Und der Junge fährt den Käfer und den Bulli, wartet an der Ampel brav auf Grün, schaltet in den Häusern das Licht an und aus, wechselt zwischen Tag und Nacht.

Dann schaut er zu den Eltern. Mutter lächelt und er fühlt, es ist ein wunderschönes Weihnachten.
Vater hat wieder ein Glas Wein in der Hand, er ist müde. Irgendwie schaut er über die Fallerbahn hinweg oder durch sie hindurch. Der Junge sagt leise „Vater“. Vielleicht will er ja auch noch mal die Autos fahren lassen.
Seine Mutter lächelt ihm zu. Er lässt die Fernbedienung los, die Autos stehen und legt sich in Mutters Arme. Von da aus beobachtet er, wie die Ampel immer wieder von rot auf grün wechselt und zurück. Und er hört Mutters Du weißt doch.

So sitzt er da, an Weihnachten 2023. Seine Mutter hat er vor ein paar Minuten angerufen, doch er ist sich nicht sicher, ob sie ihn am Telefon erkannt hat. Im neuen Jahr wird er wieder mal nach Hause fahren.
Die Flasche Rotwein ist mittlerweile leer. Und am Ende ist er froh wie jedes Jahr, nicht geheiratet zu haben.

Mitternacht

Die Zeit ist abgelaufen, jetzt ist Schluss. finito. Sie haben mir eine Frist bis zum Ende des Tages gesetzt. Und nun höre ich durch das offene Fenster, wie die Turmuhr Mitternacht schlägt.
Es ist unerträglich heiß hier oben und von draußen kommt keine kühle Luft herein. Vielleicht geht unten auf der Straße ein erholsames Lüftchen. Aber sie haben mir ausdrücklich untersagt, die Wohnung nach Ablauf der Frist zu verlassen. Bis vor fünf Minuten hätte ich mich entscheiden können, doch erst jetzt, mit Ende des Ultimatums, kommen mir diese Gedanken.
Sie haben keinerlei Andeutungen gemacht, wie es weitergehen wird nach dieser Mitternacht. Dass sie jemanden schicken werden, davon gehe ich aus. Aber wann das sein wird, ist völlig ungewiss. Und hier sitzend, mitten in der schwülen Nacht, denke ich mir, dass die Wahrscheinlichkeit, beim Verlassen der Wohnung erwischt zu werden, vielleicht weitaus geringer ist als meine riesige Angst davor.
Sie haben Zeit bis 24 Uhr, hieß es, danach gelten verschärfte Bedingungen. Was immer das sein soll.
Sie sitzen am längeren Hebel. Das ist alles, was ich weiß. Oder vermute. Ich schwitze dazu und die Turmuhr hat ihren letzten Schlag getan. Sie wird erst um sechs Uhr in der Frühe wieder zu hören sein. Werden sie mich bis dahin abholen und woanders hinbringen? Oder verbringe ich meine Zukunft weiterhin hier? Fragen über Fragen!
Und Vermutungen! So dasitzend und nichts tuend spüre ich, dass etwas kühlere Luft hereinkommt. Erfrischt oder auch nicht gehe ich daran, meine Situation ein weiteres Mal zu durchleuchten.
Wer mir das Ultimatum gesetzt hat, weiß ich nicht und ich kenne niemanden von ihnen. Doch sind es überhaupt mehrere? Keine Ahnung! Weshalb ausgerechnet die heutige Nacht als Frist gilt, dafür habe ich keine Erklärung. Und dann, das hatte ich ja bereits erwähnt, sind etwaige Folgen bei Nichtbeachtung ihrer Vorgaben nie genannt worden. Das geht mir durch den Kopf, in der Schwüle sitzend, kühlere Luft zumindest erahnend. Ich atme durch.

steh auf, schließ das fenster, zieh die gardinen vor und verlass die wohnung. das licht im treppenhaus funktioniert nicht, also die stufen ganz vorsichtig nehmen. es wird dauern, denn es sind viele stufen.

Am Ende bleibt die Frage, wann und wie ich dieses Ultimatum überhaupt erhalten habe. Jetzt, mitten im dunklen Treppenhaus, weiß ich darauf keine Antwort.

geh, weiter.

Ich bin schon eine Weile unterwegs, da ist mir plötzlich, als kämen Geräusche von unten. Zunächst so etwas wie das Zufallen einer Tür, dann sind es Schritte. Und jetzt, ohne Zweifel, höre ich sie. Die ersten Stimmen.

Seitenwechsel

In der letzten Zeit hatte er das Gefühl, dass ihm die Leute auf der Straße auswichen. Seit einigen Tagen schon, es war ihm zunächst gar nicht bewusst gewesen. Er lief durch die Geschäftsstraßen, als plötzlich ein entgegenkommender älterer Herr die Straßenseite wechselte. Zunächst dachte er sich nichts dabei, doch bei diesem einen an sich harmlosen Ereignis blieb es nicht. Minuten später war es eine junge Frau, die vor ihm einen Haken schlug und auf die andere Seite eilte. Was ist denn heute mit den Leuten los, wunderte er sich.

Als sich am nächsten Tag das Gleiche immer weiter häufte, begann er die Sache ernster zu nehmen. Das konnte doch kein Zufall sein. Er begann, die fliehenden Passanten zu beobachten und stellte mit Erstaunen fest, dass all diese Leute, gerade noch fast panisch vor ihm geflohen, auf der anderen Seite in aller Seelenruhe ihren Weg fortsetzten, als wäre nichts geschehen. Sie würdigten ihn nicht einmal mehr eines Blickes.

Dann allerdings, wenige Tage später, spitzte sich die Lage weiter zu. Niemand benutzte mehr seine Seite, so als wäre sie gesperrt oder gar nicht vorhanden. Das wurde ihm zu bunt und er trat ebenfalls auf die andere Seite. Prompt ging ihm der ganze entgegenkommende Menschenstrom wiederum aus dem Weg.

Jetzt, da ihm das alles doch zu merkwürdig vorkam, blieb er stehen und aus Verzweiflung oder Eingebung wandte er sich um. Nicht zu glauben, was er sah: Hinter ihm standen viele, zahllose Menschen, verharrten hinter ihm.
Er ahnte, worauf sie warteten, drehte sich um und wandte ihnen wieder den Rücken zu. Lief einige Meter, blieb stehen und blickte zurück. All die Passanten waren ihm gefolgt, und warteten jetzt wieder, wie erstarrt. Er schaute sie an, behielt sie im Blick, während er nun ein paar Schritte rückwärts lief, auf sie zu. Sie wichen vor ihm zurück, jedoch ohne vor ihm auf die andere Straßenseite zu flüchten. Das gefiel ihm, gab ihm Sicherheit.

Einen Moment atmete er durch, dann spazierte er los, ohne Ziel, aber glücklich durch die Stadt. Entspannt, als wäre nun alles wieder in der schönsten Ordnung. Bald vergaß er dabei sogar die vielen Menschen, die ihm wohl immer noch folgten.

Der Reisende

Der Reisende eilt durch die Altstadt, hält an, schaut sich um. Mitten auf der Gasse steht er, die Leute gehen um ihn herum. Einige schimpfen, andere sehen genauer hin und blicken in das verzweifelte Gesicht eines Fremden, bleich wie der Tod. Er, der Reisende, müsste sich sputen. Doch wohin?

Er will reisen, doch wo ist der Bahnhof? Läuft geradeaus, überholt die anderen Passanten. Sein Koffer kommt ihm mit jedem Meter leichter vor. Bald ist es geschafft! Da hört er hinter sich die Stimme. Und Schritte, die ihn verfolgen. Er mag laufen, so schnell er kann, er wird nicht entkommen. Der Koffer wird immer schwerer. Er läuft, atemlos, dann stoppt er und dreht sich um.

„Wohin?“, fragt sein Vater.

„Zum nächsten Zug!“, antwortet er, und der schwere Koffer rutscht ihm aus der Hand, fällt auf die Gasse.

„Mein Zug!“, fleht er. Der Koffer springt auf und unzählige Uhren liegen auf der Straße. Die Umstehenden greifen sofort danach. Der Reisende schaut zu, wie seine Zeiten davonlaufen.

Da schlägt die Kirchturmuhr Mitternacht. Er lässt den Koffer liegen, rappelt sich auf und eilt davon.

„Gute Reise!“, ruft ihm sein Vater nach.

Und der Reisende kennt den Weg.

Einsetzender Schneefall

Als der Wecker klingelt und er sich allmählich aus dem Bett schält, ist es wie jeden Morgen. Er wäscht sich, putzt die Zähne, kleidet sich wie immer. Dann stellt er den Wasserkocher auf, toastet eine Scheibe Weißbrot, bestreicht sie mit Marmelade und übergießt mit dem kochenden Wasser seinen Instantkaffee. Das Radio bringt schlechte Nachrichten aus der Ukraine, in der Frankfurter Innenstadt gab es eine Gasexplosion in einem Mehrfamilienhaus und die Eintracht hat gestern Abend ein angeblich wichtiges Spiel verloren. Er hasst den November, zieht sich Winterjacke, Mütze und Schal an, denn der Wetterbericht hat den ersten Schneefall vorausgesagt.

Ihm ist, als wäre es heute Morgen dunkler als sonst. Weshalb, fragt er sich, das bilde ich mir ein. Auf dem Weg zur Bushaltestelle vermisst er seinen Nachbarn, der normalerweise ebenfalls um diese Zeit mit dem Bus fährt. Vielleicht ist er krank oder hat Urlaub. Außer Guten Morgen wechseln sie nie viele Worte, da weiß man wenig voneinander.

An der Haltestelle steht er ganz allein, dabei warten hier sonst immer ein Dutzend Menschen, die zur Arbeit wollen. Einen Moment denkt er darüber nach, ob Wochenende ist, doch das ist Quatsch, denn heute hat er einen wichtigen Termin mit seinem Chef. In Gedanken geht er das Projekt, das sie besprechen wollen, noch einmal durch.

Der Bus hat Verspätung. Er vergleicht die Zeit seiner Armbanduhr mit der seines Handys: Sie stimmt. Es beginnt zu schneien, er stellt sich unter das Dach des Wartehäuschens, allein hat er heute genügend Platz.

Wie er dasteht, auf den Bus wartet und immer wieder zur Uhr schaut, fällt ihm auf, dass die Haltestelle gegenüber ebenfalls leer ist. Er sieht keine Autos fahren und bemerkt erst jetzt, wie still es um ihn herum ist. Kein Mensch ist auf der Straße, es ist totenstill und das Einzige, was sich bewegt, sind die fallenden Schneeflocken. Die Straße wird immer weißer, die Zeit vergeht, der Bus hat jetzt zwanzig Minuten Verspätung.

So allein dazustehen, in dieser Stille, macht íhn immer nervöser. Er nimmt sein Handy aus der Tasche, wählt die Nummer seines Chefs, um mitzuteilen, dass er sich verspätet. Der Rufton beruhigt ihn, aber es meldet sich niemand.

Seine Füße frieren, er tritt auf der Stelle, als ob er nervös wäre. Was ist das, meint er, ich warte auf den Bus, der nicht kommt, und rufe meinen Chef an, der sich nicht meldet. Und dazu kein Mensch in der Nähe, kein Auto und kein Bus.

Er beschließt, nicht länger zu warten. Bis in seine Firma kann er nicht laufen, das ist zu weit und er müsste durch den Schnee waten mit seinen dünnen Halbschuhen. Er hätte sich dickere Schuhe anziehen sollen. Also wird er zurück nach Hause gehen und von dort noch einmal versuchen, seinen Chef anzurufen. Ausgerechnet heute ist der Termin!

Der Schneefall wird immer stärker. Er geht los, doch mit jedem Schritt sinkt er tiefer ein mit seinen dünnen Schuhen, der Schnee tanzt um ihn herum. Er läuft, die Füße nass und kalt, aber er spürt sie immer weniger. Soll er zurück zur Haltestelle, sich dort unterstellen und warten, bis der Schneefall aufhört?

Er schaut sich um: Außer dem Schnee in der Luft und um ihn herum kann er nichts mehr erkennen.

Wohin soll ich gehen? Wo bin ich? Er geht weiter und hofft, den richtigen Weg zu nehmen. Zweimal oder dreimal meint er, sein Handy klingeln zu hören. Er schaut aufs Display: Das Handy ist aus, sicherlich ist der Akku leer.

Er geht, stapft durch den Schnee, stürzt und läuft auf allen vieren weiter. Wo bin ich? Irgendwo zwischen Haltestelle und zuhause hoffentlich! Und er wird müde, immer müder, spürt seine Füße und Hände nicht mehr. Wo bin ich, möchte er schreien, aber er flüstert es nur. Und dann meint er, den Bus zu hören, gar nicht so weit weg. Vielleicht an der Haltestelle.

Als der Wecker klingelt und er sich allmählich aus dem Bett schält, ist es wie jeden Morgen. Und der Wetterbericht kündigt den ersten Schnee an.

Ich

Ich weiß, es hört sich verrückt an, wenn ich Ihnen erzähle, dass ich gestern mir selbst begegnet bin. Sie werden zunächst mit einem Wie bitte? reagieren, denn Sie sind sich sicher, dass Sie mich falsch verstanden haben.
Das kann ich verstehen, und doch werde ich wiederholen, dass ich mir gestern begegnet bin. Sie werden dann einen Augenblick still sein. Ich stelle mir Ihren Blick vor und lese daraus Ihre Gedanken. Verrückt? Der falsche Ausdruck, irre trifft es besser, denken Sie. Und ja, Sie haben Recht.
Und doch, ob Sie es glauben oder nicht, genauso war es. Ich bin momentan zur Kur in diesem kleinen Ort. Der Grund tut nichts zur Sache. Vor einer Woche bin ich hier angekommen, habe seitdem vormittags und nachmittags Therapiestunden, Anwendungen und sonstige Maßnahmen über mich ergehen lassen. Sogar das Heilwasser trinke ich.
Aber die Abende nach dem festgelegten Programm gehören mir. Und so habe ich seitdem abendlich eine andere Lokalität besucht und die gutbürgerliche lokale Gastronomie genossen, sowohl was das Essen anbelangt als auch die süffigen weißen und ganz besonders die roten Weine aus der Gegend.
Gestern hatte ich mir das Lokal „Zur Alten Wutz“ ausgesucht. An sich unterscheiden sich die örtlichen Lokale wenig voneinander. Überall ist es duster, von Nikotin vernebelt und der Geruch von Bier und Wein wabert durch den gesamten Gastraum. Ich fand einen kleinen Tisch für zwei Personen und glaubte, sicher zu sein, allein zu bleiben.
Wie jeden Abend bestellte ich mir ein erstes Viertel vom roten Hauswein. Dazu diesmal von der Karte den Wildschweinbraten, verleitet vom Namen des Lokals.
„Aber bitte nicht von der alten Wutz!“, scherzte ich mit dem Kellner, der sich sichtlich angestrengt um ein Lächeln bemühte. Das wäre nicht nötig gewesen, denn dass ich nicht der geborene Witzbold bin, weiß ich selbst. Und das wurde mir unverzüglich bestätigt, nachdem der Kellner fort war.
„So alt, dieser Kalauer!“, sagte die Person, die aus heiterem Himmel plötzlich mir gegenüber saß. Ja, aus heiterem Himmel, auch wenn es schwer zu glauben ist. Und so kann ich Ihnen auch Ihre Frage nicht beantworten, woher diese Person denn so plötzlich gekommen ist.
„Was glaubst du, wie oft der arme Tropf (er bzw. ich, aber das verstehen Sie erst ein paar weiteren Zeilen später, meinte damit den Kellner!) das schon gehört hat?“
Du? Sagte er DU? Aber sicher, und was hätte ich dagegen sagen sollen? Er, der mir da gegenüber saß, das war ICH! Ja, ich weiß, verrückt und irre, ich hatte das ja zu Beginn dieses Textes eingeräumt.
Sie lesen diese Zeilen, denken sich Ihren Teil. Doch glauben Sie mir, ich saß mir leibhaftig gegenüber. Dieser Person, die ICH war.
Und ICH hatte ja Recht. Mein Kalauer war keine Glanzleistung und ich dachte darüber nach, mich beim Kellner zu entschuldigen.
„Mach dir keinen Kopf,“, meinte ich zu mir, der meine Zweifel mitgelesen hatte, „der Mann ist Schlimmeres gewohnt.“
Ganz bestimmt. Wir verstanden uns von Beginn an.
Wenig später wurde mir dieser wunderbar zarte und leckere Wildschweinbraten serviert. Statt eines weiteren Viertels bestellte ich eine Flasche des herrlichen Rotweins und ein zusätzliches Glas für mich. Der Kellner ließ sich nichts anmerken, doch ich und vermutlich auch ICH spürten, dass er nicht recht verstand. Ich bot meinem Gegenüber an, ihm etwas zu essen zu bestellen, aber er hatte keinen Hunger. Also genoss ich den Wutzbraten allein. Dem Rotwein war ICH jedoch nicht abgeneigt, so dass ich am Ende mein Viertel und zwei Flaschen Wein auf der Rechnung hatte.
Als wir die Lokalität verließen, bedankte ĬCH mich artig für die Einladung. Ich verstand nicht recht, denn eingeladen hatte ich mich nicht, aber am Ende sah ich einfach darüber hinweg. So, und weil ich generell nicht alles auf die Goldwaage lege, trennten wir uns friedlich.
Am nächsten Vormittag fragte mich mein behandelnder Arzt nach meinem Befinden und den Erlebnissen seit unserer letzten Therapiestunde. Von Beginn der Kur an hatte ich ihn immer enttäuschen müssen, weil ich nichts erlebt hatte. Jetzt erzählte ich ihm erleichtert vom Zusammentreffen mit mir in der Alten Wutz. Der Arzt nickte freundlich und schlug vor, dass ich MICH zu einer der nächsten Therapiestunden mitbringen solle.
Ich hoffe jetzt, mich demnächst wieder zu treffen. Aber ich möchte auch Sie bitten, und das ist der eigentliche Grund für all die Zeilen: Falls Sie mir begegnen, dann richten Sie mir doch bitte aus, dass ich mich dringend brauche.

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